Perspektiven in Zeiten der Krise.

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Sie kann stützen, motivieren, Impulse liefern, Perspektiven zeigen. 

Erste promovierte Frau an der Universität Wien

Erste promovierte Frau an der Universität Wien

Gabriele Possanner von Ehrenthal
1860 – 1940, Doktorin der Medizin

Am 2. April 1897 fand in Wien ein bedeutendes Ereignis statt, das in der Presse der Donaumonarchie große Beachtung fand: Zum ersten Mal erhielt eine Frau auf österreichisch-ungarischem Boden den Doktorgrad. Zahlreiche Berichterstatter verschiedener Zeitungen nahmen an der akademischen Feier teil und schrieben darüber.

Ein bedeutsames und alle denkenden Frauen erfreuliches Ereignis hat sich vollzogen.

(Arbeiterinnen-Zeitung 8/1987)

Nicht alle Teilnehmer waren über die Tatsache erfreut, dass es Gabriele Possanner von Ehrenthal geschafft hatte, ihren Traum von einem Medizinstudium zu verwirklichen. „Manche konnten ihre bornierten Gefühle nicht beherrschen und äußerten sie durch Zischen.“, meldete die „Arbeiterinnen-Zeitung“.

Doch der Rektor der Universität fand anerkennende Worte für die frischgebackene Ärztin: Er beglückwünschte sie als „mutige und siegreiche Vorkämpferin um die Erweiterung der Frauenrechte“ und wies auf ihre Energie und ihre Intelligenz hin, mit deren Hilfe sie sich ihren Weg zum Studium erkämpft hatte.

„…so giebt es nicht Widerwärtigeres, als ein die gesteckten Grenzen überschreitendes Mannweib.“ 1)

Als Tochter eines hohen k.k. Beamten wurde Gabriele Possanner in Ungarn als älteste von acht Geschwistern geboren. Als die Familie nach Wien übersiedelt, besucht sie die Lehrerinnenbildungsanstalt, eine Schule, die eine „der weiblichen Eigenart entsprechende allgemeine Bildung“ vermittelt. Doch Gabriele will mehr, sie will Medizin studieren, obwohl das in Österreich für Frauen nicht möglich ist. Der akademische Senat hatte sich 1873 „principiell und mit aller Bestimmtheit“ gegen ein Frauenstudium gestellt.

„Frauen sind für das Medizinstudium wegen ihrer schwachen Konstitution und ihrer intellektuellen Minderbegabung – schließlich haben sie eine geringere Gehirnmasse als Männer – ungeeignet. Außerdem wird ihr Zart- und Schamgefühl im Seziersaal verletzt, und eine Frau im Operationssaal kann nur Heiterkeit erregen.“, meinte auch der deutsche Anatomieprofessor Theodor von Bischoff (1807 – 1882) und versuchte mit Hirnvermessungen nachzuweisen, dass dem weiblichen Geschlecht die Heilkunst zu Recht verwehrt bleiben sollte.

Erste Ärztin Österreichs, promovierte 1894 in Zürich. Eröffnete nach ihrer Nostrifizierung 1897 in Wien eine Praxis. Erste Frau "Medizinalrätin" 1928.

Erste Ärztin Österreichs, promovierte 1894 in Zürich. Eröffnete nach ihrer Nostrifizierung 1897 in Wien eine Praxis. Erste Frau "Medizinalrätin" 1928.

Gabriele Possanner lässt sich von solchen Vorurteilen nicht beirren und legt die Externistenmatura ab, um in Zürich an der einzigen Universität, die zu diesem Zeitpunkt weibliche Studenten zulässt, zu inskribieren. Doch die nächste Hürde wartet auf sie – ihr Maturitätszeugnis wird in der Schweiz nicht anerkannt, und so muss sie ein zweites Mal maturieren.

Endlich kann sie sich auf die Medizin konzentrieren, ihr Studium weiter verfolgen und anschließend ihre Dissertation zu einem Thema der Augenheilkunde verfassen. Ihr Abschluss erlaubt ihr, in der gesamten Schweiz als Ärztin zu praktizieren, doch Gabriele Possanner will zurück nach Wien.

Die einzige Möglichkeit als Medizinerin eine Anstellung zu erhalten, war damals, sich als Amtsärztin für das von Österreich besetzte Bosnien-Herzegowina zu bewerben, da die dort lebenden Musliminnen sich weigerten, sich von einem männlichen Arzt untersuchen zu lassen. Gabriele Possanner wollte aber in Österreich bleiben, denn auch hier verhielten sich viele Mädchen und Frauen ähnlich. Sie erhielt jedoch keine Erlaubnis zu praktizieren, man erkannte ihr Schweizer Diplom nicht an.

Eine Frau gibt nicht auf

Nach jahrelangen unzähligen Ansuchen an verschiedene Ministerien, das Abgeordnetenhaus, Rektoren und das medizinische Dekanat, die alle erfolglos blieben, richtete sie ein persönliches Gnadengesuch an Kaiser Franz Joseph mit der Bitte, ihr die „Ausübung der ärztlichen Praxis in Österreich aller gnädigst zu bewilligen.“

Dies führte dazu, dass man ihr erlaubte, ihr Schweizer Diplom nostrifizieren zu lassen, allerdings unter einer Bedingung: Sie musste im Gegensatz zu männlichen Ärzten alle praktischen und theoretischen Prüfungen an der medizinischen Fakultät in Wien erneut ablegen. Viele hätten jetzt aufgegeben, doch nicht Gabriele Possanner. Sie überwand auch dieses letzte Hindernis – inzwischen war sie 37 Jahre alt – doch sie hatte ihr sehnlichstes Ziel erreicht: Sie war die erste Doktorin der Heilkunde, die an einer österreichischen Universität promovieren durfte und konnte nun endlich in Wien ihre eigene Praxis als praktische Ärztin eröffnen.

Doch ihr Kampfgeist war ungebrochen, Ungerechtigkeiten gegen Frauen ließ sie nicht auf sich beruhen. Als ihr in der Wiener Ärztekammer das Wahlrecht verweigert wurde, da ja Frauen auch sonst nicht wählen durften, erhob sie Einspruch beim Verwaltungsgerichtshof und erhielt Recht.

Gabriele Possanner war bei vielem die erste: erste promovierte Ärztin, erste Ärztin an einer k.k. Krankenanstalt, erstes weibliches Mitglied der Ärztekammer, erste Frau „Medizinalrat“.

Ihr Beispiel hat Folgen.

Drei Jahre nach ihrer Promotion, am 3. September 1900, wurden in Österreich die medizinischen Fakultäten auch für Frauen geöffnet. Obwohl es schwierig war, sich als Studentin durchzusetzen – die jungen Frauen wurden als unmoralisch, unweiblich und für Männer abstoßend bezeichnet und so mancher Professor schloss sie aus seinen Vorlesungen aus – gab es 1908 in Österreich-Ungarn bereits 34 Ärztinnen, 1910 waren es 80 und 1929 schon 453.

Gabriele Possanner hat mit ihrer Hartnäckigkeit, ihrem Mut und ihrer Zielstrebigkeit auch zu dieser Entwicklung beigetragen. Sie arbeitete bis zuletzt in ihrem geliebten Beruf. Noch auf dem Sterbebett war ihr wichtig: „Ich habe viel helfen können und helfen ist doch das Schönste.“

1960 wurde die Possannergasse im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing nach ihr benannt.

1960 wurde die Possannergasse im 13. Wiener Gemeindebezirk Hietzing nach ihr benannt.

Text: Roswitha Fessler

Images:
www.bildarchivaustria.at/Pages/ImageDetail.aspx?p_iBildID=2937668
www.wikiwand.com/de/Gabriele_Possanner

References:
BMfUK (Hrsg.): Gelehrte Frauen. Frauenbiographien vom 10. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 1996
Gabriele Possanner Institut für interdisziplinäre Forschung: www.gabrielepossanner.eu
https://geschichte.univie.ac.at/de/print/26933

1) Zitat nach Sonja Stipsits in: Bolognese-Leuchtenmüller, Birgit/Horn, Sonia (Hg.): Töchter des Hippokrates. 100 Jahre akademische Ärztinnen in Österreich, Wien 2000. S 27-44

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