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Talente fördern… je früher, desto besser

Talente fördern… je früher, desto besser

In vielen Ländern haben Mädchen schlechte Bildungschancen. Weltweit gesehen gehen 34 Millionen Mädchen im Grundschulalter nicht zur Schule. Im Vergleich „nur“ 29 Millionen Jungen. Hierzulande haben die Mädchen die Jungen allerdings schulisch überholt: Seit 20 Jahren machen mehr Schülerinnen als Schüler Matura – und das tendenziell mit besseren Noten. 

Geht es um die Wahl eines weiterführenden Studiums, wählen aber Mädchen viel seltener sogenannte MINT-Fächer. In den Fächern Mathematik, Informatik, Technik und Naturwissenschaften sind Frauen nach wie vor unterrepräsentiert.

Anlässlich des Internationalen Tages der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft haben wir die Astrophysikerin und Universitätsprofessorin Konstanze Zwintz eingeladen, mit uns die Gründe dafür zu erörtern und mit ihr ein Gespräch über Musik und Naturwissenschaften, Förderprogramme und den Hollywoodfilm „Hidden Figures“ geführt.

Konstanze Zwintz
*1974, Astrophysikerin und Universitätsprofessorin

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Prof. Konstanze Zwintz wurde in Wien geboren und studierte Astronomie an der Universität Wien. Seit Oktober 2018 ist sie „Ingeborg-Hochmair Professorin“ an der Universität Innsbruck. Sie leitet das BRITE-Constellation Projekt mit den ersten beiden österreichischen Satelliten. Einer ihrer Schwerpunkte liegt auf der Erforschung von jungen Sternen mithilfe von Sternschwingungen. © Axel Springer

FMH: Als junge Frau waren Sie eine vielversprechende Pianistin. Wie kam es dazu, dass Sie sich für Astrophysik entschieden haben?  

 Zwintz: Da haben mehrere Faktoren eine Rolle gespielt. Als Kind hat mir meine Mutter immer wieder den Himmel gezeigt und mir die Sterne, Planeten und Monde erklärt. Sie hat in mir auch die Faszination für Raumfahrt, Raketen und Satelliten geweckt. Ich bin dann in der Oberstufe sehr gut in den naturwissenschaftlichen Fächern geworden: Mathematik, Physik und Chemie haben mich sehr interessiert. Ich wollte aber ein Fach wählen, in dem all diese Dinge zusammenkommen und in dem man „Detektivarbeit“ leisten muss. Das hat mich auf die Themen der Meteorologie und der Astronomie gebracht. Beim Besuch der Berufsinformationsmesse traf ich einen Astronomen, der sich fast zwei Stunden lang Zeit genommen hat, mir alles zu erklären: von den schönen Aspekten bis zu den schwierigen. Und danach stand für mich fest, dass ich Astronomie studieren würde.  

Die Sterne haben es Konstanze Zwintz angetan. Sie entstehen in der Region S106. © NASA & ESA 

Die Sterne haben es Konstanze Zwintz angetan. Sie entstehen in der Region S106. © NASA & ESA 

FMH: Einer Ihrer Schwerpunkte liegt auf der Erforschung von jungen Sternen und Asteroseismologie, dem Schwingen der Sterne. Die Musik scheint Sie also nach wie vor zu begleiten. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Musik, Physik und Mathematik?   

 Zwintz: Diese Zusammenhänge gibt es natürlich, und sie sind in der Literatur vielfach beschrieben. Musik und Mathematik sind schon seit der Antike miteinander verknüpft. Der Philosoph Pythagoras hat schon festgestellt, dass Musik eigentlich auf verschiedenen Zahlenverhältnissen basiert. Man denke an Tonleitern, die Einteilung der Noten in Viertel, Achtel, Sechzehntel oder an die Tonintervalle.  

Und Musik und Physik hängen genauso eng zusammen, zum Beispiel dahingehend, dass Musik durch Schwingungen hervorgerufen wird, deren Frequenzen die Tonhöhe bestimmen. Schallwellen tragen den Klang dann über die Luftmoleküle weiter, sodass wir ihn hören können.  

Musik begleitet mich seit meiner Kindheit. Während des Studiums habe ich Studierende des Fachs Gesang und andere Musiker*innen bei Konzerten, Prüfungen und Wettbewerben am Klavier begleitet. Erst mit Beginn meines Doktorats ist die Zeit für das Klavier für mich bedeutend weniger geworden. Aber ich spiele bis heute leidenschaftlich gern Klavier und musiziere mit Freund*innen. Für mich persönlich ist es immer wieder faszinierend, dass viele Naturwissenschaftler*innen auch selbst Musik machen und davon berichten, wie wichtig dieser Ausgleich für sie ist. Ich kann dem nur voll und ganz zustimmen. 

2014 veröffentlichte Konstanze Zwintz im Journal Science einen Artikel über den Zusammenhang zwischen den Pulsationseigenschaften junger Sterne und ihrem relativen Entwicklungszustand. © Pieter Degroote (KU Leuven)


FMH: In der Astrophysik geht es um Zeiträume, die für die meisten Menschen unvorstellbar sind. 1000 Jahre sind gar nichts. Wie gehen Sie um mit den Dingen, die  zeitnah und unmittelbar  um Sie herum geschehen? Relativieren sich da nicht Alltagsdinge, politische Entwicklungen, Gefühle?  

Zwintz: Grundsätzlich trenne ich die Zeitskalen, die mich in der Arbeit begleiten, von den „irdischen“ Zeitskalen. Alltagsdinge, politische Entwicklungen und Gefühle, die mit ihnen verknüpft sind, betreffen mich genauso wie alle Menschen. Es hilft ja nicht zu sagen, dass für das Universum 10 Jahre oder 100 Jahre oder 1000 Jahre nicht einmal ein Wimpernschlag sind.  

In einem bestimmten Thema treffen sich meine beruflichen Gedanken mit den Dingen, die rund um mich herum passieren: wenn es um die Erde und das Klima geht. Denn die Erde ist nach wie vor ein ganz besonderer Planet auch im astronomischen Sinn, weil sie eine Atmosphäre ausgebildet hat, im „richtigen“ Abstand von ihrer Sonne ist – es ist also weder zu heiß noch zu kalt – und es Leben auf ihr gibt. In der Astrophysik suchen wir immer noch mit hoch präzisen Instrumenten nach einer zweiten Erde. Auch wenn wir schon erdähnliche Planeten gefunden haben, keiner von ihnen ist so wie die Erde. Wenn wir uns das vor Augen halten, sollte es doch klar sein, dass wir auf unsere Erde besser aufpassen sollten.  

FMH: Sie haben eine reine Mädchenschule besucht und später ein männerdominiertes Studium gewählt. War es schwierig, in Ihrem Fach Fuß zu fassen?  

Zwintz: Von zuhause habe ich immer vorgelebt bekommen, dass ich alles machen kann, was ich will und was mich interessiert. Es gab nie Vorbehalte, dass ich als Mädchen und junge Frau technische oder naturwissenschaftliche Fächer nicht verstehen oder nicht bearbeiten könnte. Umso verwunderter war ich, dass es in meinem Studium noch einzelne Professoren gab, die meinten, Frauen könnten keine Naturwissenschaftlerinnen sein. Glücklicherweise war das die Minderheit.  

In meiner Diplom-Studienzeit Ende der 1990er Jahre war es ja schon politisch inkorrekt, Frauen in einer Männerdomäne offen zu diskriminieren. Unterschwellig kam es im Laufe meiner Ausbildung und Karriere aber doch immer wieder zu diskriminierendem Verhalten. Das war oft nicht einfach. Aber ich habe einfach weitergearbeitet und mich nicht unterkriegen lassen. Ich habe versucht, diese Untergriffe mit Leistung und Ergebnissen zu „widerlegen“, was nicht immer geklappt hat. Aber ich bin meinen Weg weitergegangen, egal was manche Leute gesagt oder gemeint haben, und darauf bin ich heute eigentlich stolz. 

Im Rahmen des Podiumsgesprächs “ForscherInnen hautnah: Beruf: Wissenschaftlerin” besuchte uns Konstanze Zwintz im Frauenmuseum Hittisau (2019). vlnr: Stefania Pitscheider Soraperra (Direktorin FMH), Marie-Luisa Frick (Institut für Philosophie), Kris…

Im Rahmen des Podiumsgesprächs “ForscherInnen hautnah: Beruf: Wissenschaftlerin” besuchte uns Konstanze Zwintz im Frauenmuseum Hittisau (2019). vlnr: Stefania Pitscheider Soraperra (Direktorin FMH), Marie-Luisa Frick (Institut für Philosophie), Kristina Stoeckl (Institut für Soziologie), Konstanze Zwintz (Institut für Astro- und Teilchenphysik), Thomas Bechtold und Tung Pham (beide Institut für Textilchemie und Textilphysik). Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe “Ein Blick hinter die Kulissen der Universität Innsbruck.”

FMH: Laut einer Studie des UNESCO Institute for Statistics (UIS) sind 29.3 Prozent der weltweiten Forscher*innen Frauen. Besonders in den MINT-Fächern sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Woran liegt das?  

Zwintz: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich denke, dass da viele Faktoren eine Rolle spielen. Mädchen und Frauen trauen sich oft nicht zu, Forscherinnen zu werden. Klischees wie zum Beispiel „Mädchen spielen mit Puppen, Buben mit der elektrischen Eisenbahn“ und andere Rollenbilder tragen schon früh dazu bei. Mädchen bekommen heute manchmal immer noch vermittelt, dass sie in Mathematik und Physik in der Schule nicht so gut sein können wie Buben. Damit wird das Interesse an diesen Fächern auch nicht gefördert.  

Es hilft auch nicht, wenn Menschen des öffentlichen Interesses Aussagen tätigen wie: „Ich bin ja eine Frau, drum versteh ich Physik oder Mathematik nicht so gut.“ Besser wäre es so etwas zu sagen wie: „Mir liegt Physik nicht so gut, daher verstehe ich das jetzt nicht.“ Das wäre eine geschlechtsneutrale Formulierung und hat eine bessere Vorbildwirkung.  

Ein anderer Faktor ist, dass wir 50 Prozent Frauen unter den Studierenden haben, von denen sich dann ein Großteil gegen eine Karriere als Forscherin entscheidet. Hier kann ein Grund sein, dass der Beruf einer Forscherin mit dem Wunsch nach Familie und Kindern nicht immer so kompatibel erscheint bzw. tatsächlich oft auch nicht leicht vereinbar ist.

FMH: Welche Schritte müssten in Ihren Augen gesetzt werden, um mehr junge Frauen für MINT-Fächer zu begeistern?  

Zwintz: Ich denke, wir sind schon auf einem guten und richtigen Weg, denn die klassischen Rollenbilder werden immer mehr aufgeweicht. Man sollte daher Mädchen früh schon die Faszination von MINT-Fächern vermitteln und ihnen zeigen, dass sie das genauso verstehen können wie die Buben. Vielleicht brauchen Mädchen da auch etwas mehr Bestätigung. 

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man die jeweiligen Interessen von Kindern fördern sollte: Wenn ein Mädchen sich für die klassischen Mädchenthemen interessiert, sollte das genauso gefördert werden wie ein Interesse von Mädchen an Naturwissenschaften. Dasselbe gilt für mich auch für Buben. Unsere Gesellschaft sollte in eine Richtung gehen, dass jede und jeder von uns Talente und Interessen hat und die sollten erkannt und gefördert werden: geschlechtsunabhängig, in jeder Bildungsschicht, und je früher, desto besser. Dazu gehört auch, dass man Kindern schon früh zeigt, was Naturwissenschaft und Technik machen und damit überhaupt Interesse an diesen Fächern wecken kann. 

Vielleicht würde es auch helfen, jungen Frauen mehr die Jobchancen vor Augen zu halten. Ich werde in den letzten Jahren immer wieder von jungen Frauen mit Interesse an MINT-Fächern gefragt, was sie dann mit einem Studium der Physik zum Beispiel für Jobs machen können. Und wenn es mehr Stellen für Forscher*innen gäbe, würde vielleicht auch der Prozentsatz an Frauen ansteigen. 

Wünscht sich eine Gesellschaft, in der keine Unterschiede zwischen Geschlechtern gemacht werden: Universitätsprofessorin Konstanze Zwintz. Bis dahin brauche es jedoch Förderprogramme für junge Wissenschaftlerinnen.  

FMH: Sie haben an wichtigen Förderprogrammen für Wissenschaftlerinnen teilgenommen. Ist es notwendig, junge Wissenschaftlerinnen zu fördern?  

Zwintz: Ja, das ist meiner Meinung nach immer noch notwendig. Auch wenn unsere Gesellschaft im Wandel ist und die junge Generation viel weniger Unterschiede in den Geschlechtern sieht, so gibt es leider immer noch viele arrivierte Wissenschaftler*innen mit – meist versteckten – Vorurteilen gegen Frauen in MINT-Fächern, die jungen Frauen den Start in eine Karriere in der Wissenschaft deutlich erschweren. Gezielte Förderprogramme können da dagegen arbeiten, weil sie das Geschlecht nicht als indirektes Auswahlkriterium zulassen, sondern sich rein auf den Inhalt und die Leistung der Kandidatin beziehen. 

Ich möchte aber gern betonen, dass ich mir eine Gesellschaft wünschen würde, in der tatsächlich keine Unterschiede zwischen Geschlechtern, aber auch der Herkunft oder Religion gemacht werden, sondern dass jeder Mensch mit seinen Talenten wahrgenommen und geschätzt wird. Dann würde es auch keine Förderprogramme für bestimmte Gruppen brauchen.

FMH: Vor einem Jahr verstarb die Mathematikerin Katherine Johnson, deren Geschichte durch den Hollywoodfilm „Hidden Figures“ ein Millionenpublikum erreichte. Gibt es eine „Hidden Figure“, von der Sie erzählen möchten?   

Zwintz: Eine „Hidden Figure“ in der Astronomie war sicherlich Cecilia Payne-Gaposchkin. Sie studierte ab 1919 Naturwissenschaften, also Astronomie, an der Universität Cambridge. Allerdings wurden damals Frauen keine akademischen Grade zuerkannt. Später ging sie an das Observatorium der Harvard Universität und arbeitete dort als „female computer“ – als eine billige Arbeitskraft – für Harlow Shapley und Edward Charles Pickering an der Auswertung von Sternspektren. Sie entdeckte, dass Wasserstoff das bei weitem häufigste Element im Universum ist und dass auch die Sonne hauptsächlich aus Wasserstoff besteht. Allerdings wurden ihre Ergebnisse zunächst angezweifelt und als „nahezu sicher nicht real“ von ihrem Gutachter Henry Noris Russel beurteilt. Erst Jahre später kam Russel selbst zu diesem Ergebnis. Und erst dann wurde diese Erkenntnis von der astronomischen Community akzeptiert. 1956 war Cecilia Payne-Gaposchkin die erste weibliche Professorin für Astronomie an der Harvard Universität.  

„Hidden Figure“ Cecilia Payne-Gaposchkin (1900-1979) im Harvard College Observatorium bei der Arbeit. Quelle: Wikipedia

„Hidden Figure“ Cecilia Payne-Gaposchkin (1900-1979) im Harvard College Observatorium bei der Arbeit. Quelle: Wikipedia

FMH: Für Mädchen und junge Frauen sind solche Vorbilder sicher wichtig. Wie halten Sie es mit Vorbildern?  

Zwintz: Vorbilder sind enorm wichtig meiner Meinung nach. Vorbilder können uns Kraft geben und Wege aufzeigen, die uns in der eigenen Situation weiterhelfen. Ich sehe Vorbilder wie Leuchttürme im Leben. Vorbilder sind für mich Menschen, vor denen ich Respekt habe, die Eigenschaften haben oder hatten, die bemerkenswert sind, und die ich als erstrebenswert empfinde. Frauen wie Katherine Johnson und Cecilia Payne-Gaposchkin beispielsweise sind für mich Vorbilder an Durchhaltungsvermögen und Leidenschaft für die Wissenschaft in einer Zeit, in der es Frauen in Wissenschaft und Technik noch sehr schwer hatten. 

“Glaubt an euch, euer Wissen und euer Können – ihr schafft das! Lasst euch nicht unterkriegen und behaltet das Ziel im Auge! Seht euch auf dem Weg dorthin nach Verbündeten um, die euch begleiten und Kraft geben!”

Diesen Rat gibt Konstanze Zwintz Mädchen und jungen Frauen in der Wissenschaft mit auf den Weg.

Text: Angelika Hausegger (FMH) im Interview mit Konstanze Zwintz.

Images:
Titelbild: Universitätsprofessorin Konstanze Zwintz vor der Sternwarte am Dach des Victor Franz Hess Hauses der Fakultät für Mathematik, Informatik und Physik der Universität Innsbruck © Axel Springer (Target Group)
Konstanze Zwintz © Axel Springer
Sternentstehen in der Region S106 © NASA & ESA 
Pulsationseigenschaften junger Sterne. Veröffentlicht von Konstanze Zwintz im Journal Science, 2014 © Pieter Degroote (KU Leuven)
“ForscherInnen hautnah: Beruf: Wissenschaftlerin” im Frauenmuseum Hittisau (2019) © Frauenmuseum Hittisau
https://de.wikipedia.org/wiki/Cecilia_Payne-Gaposchkin

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