Aus dem Leben einer Arbeiterin.
Adelheid Popp
1869-1939, Nationalratsabgeordnete, Journalistin
Als jüngstes von fünfzehn Kindern einer Arbeiterin und eines alkoholkranken Webers wuchs Adelheid Dworak, 1869 geboren in Inzersdorf bei Wien, in bitterarmen Verhältnissen auf. Ihr Vater starb, als sie sechs Jahre alt war. Ihre Mutter war von der ständigen Sorge geplagt, die Kinder zu ernähren. Nach drei Jahren musste Adelheid die Volksschule verlassen und arbeiten. Die Familie war auf jeden Kreuzer angewiesen. Sie war Heimarbeiterin, Dienstmädchen, Fabriksarbeiterin. Sie lernte das Arbeitsleben ihrer Zeit in voller Härte kennen: 12-Stunden-Tage, niedrigste Entlohnung, keinerlei soziale Absicherung.
Kein Lichtpunkt, kein Sonnenstrahl, nichts vom behaglichen Heim, wo mütterliche Liebe und Sorgfalt meine Kindheit geleitet hätte.
schreibt Adelheid Popp in “Jugend einer Arbeiterin”
Was sie aufweckte, was sie liebte, war das Lesen. Zu Beginn waren es Liebesgeschichten, später, nachdem sie durch ihre vier überlebenden Brüder mit der Sozialdemokratie in Kontakt gekommen war, auch politische Schriften. Was ihr an Bildung fehlte, eignete sie sich selbst an. Später bekam sie Unterstützung von Emma Adler. Als Jugendliche nahm sie an politischen Versammlungen teil. Ihre erste Rede hielt sie als 17-jährige auf einer Parteiversammlung der Sozialdemokratie – ihr Thema war die Situation der Arbeiterinnen, die bisher einfach ignoriert wurde.
Der Kampf für die Befreiung
Von Beginn an setzte sie sich für Gleichstellung, Frauenrechte, für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen ein. Sie war Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht, Aktivistin für eine Reform des Eherechts und die Einführung einer Karenzzeit. Sie forderte die Errichtung von Entbindungsanstalten und die Gleichstellung der Frauen im Beruf, kämpfte für die Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs und setzte sich für eine Quotenregelung ein. Nicht nur das, auch Tabuthemen wie die Frage der Prostitution sprach sie an.
Zu kämpfen nicht nur für die gesamte Arbeiterklasse, sondern auch zu kämpfen für die Befreiung der Frauen von wirtschaftlicher Bedrückung, geistiger Nacht und politischer Rechtlosigkeit.
sah sie als ihre Aufgabe.
(Gedenkbuch 20 Jahre Österreichische Arbeiterinnenbewegung)
Das tat sie, als Mitglied und Vorsitzende zahlreicher sozialdemokratischer Frauenvereine, als Herausgeberin und Redaktuerin der Arbeiterinnen-Zeitung sowie vieler weiterer Schriften, Bücher und Broschüren, als Mitglied des Parteivorstands der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, als Wiener Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete und schließlich ab 1919 als eine der ersten acht Nationalratsabgeordneten. Am 3. Mai 1919 hielt sie dort auch als erste Frau eine Rede vor dem Parlament, und zwar zur Abschaffung aller Vorrechte des Adels.
Politische Meilensteine und Schicksalschläge
Adelheid Popp erkämpfte wichtige Meilensteine in der Verbesserung der Situation von Frauen und Arbeiter*innen: der Achtstundentag, die Einführung von Arbeitsinspektoraten zur Kontrolle der Arbeitsbedingungen in den Fabriken, eine Reform des Eherechts, Schutzgesetze für Schwangere und Mütter, gleicher Lohn für Arbeiterinnen uvm. Mit fortschreitender Parlamentsarbeit wuchs aber auch ihr Ärger über die Zähigkeit, mit der sich ungleiche (Geschlechter-)Verhältnisse fortsetzen. Wie im Privaten waren auch in der Politik Frauen für die Fürsorge zuständig: Sozialpolitik wurde als “Weibersache” abgetan.
Mich trifft das Schicksal, dass ich Jahr für Jahr zum gleichen Thema reden muss, ohne darauf hinweisen zu können, dass sich irgendetwas zum Günstigeren verändert hätte – im Gegenteil, ungünstiger sind die Zustände geworden
(Parlamentsrede 1933, z.n. Hamann)
Ein einmal errungenes Recht ist nicht in Stein gemeißelt, das spürte Adelheid Popp genau. 1933 zog sie sich aus der Politik und dem öffentlichen Leben zurück, das Parlament wurde ausgeschaltet und im austrofaschistischen Ständestaat alle Vereine und Organisationen ihrer Partei verboten. 1939 verstarb sie im Alter von 70 Jahren an einem Schlaganfall.
Wer die Frauen für sich hat, hat das heranwachsende Menschengeschlecht, hat die Zukunft für sich.
Adelheid Popp. Arbeiterinnen-Zeitung 1892
Als eine Schlüsselfigur im Kampf um das Frauenwahlrecht in Österreich ist Adelheid Popp Teil unserer aktuellen Ausstellung Sie meinen es politisch! 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich. Sie wird unserer Wiedereröffnung am 16. Mai noch bis 07. Juni im Frauenmuseum Hittisau zu sehen sein. (AS)
Images: © https://fraueninbewegung.onb.ac.at/node/1996 © Frauenmuseum Hittisau / Lutz Werner
References: https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20090428_OTS0204/adelheid-popp-wegbereiterin-der-frauenbewegung-autodidaktin-mit-willenskraft-und-idealismus, https://fraueninbewegung.onb.ac.at/node/1996 , https://www.mediathek.at/portaltreffer/atom/1B032A7A-35F-00192-000005C8-1B023DB5/pool/BWEB/ , Popp, Adelheid: Zwanzig Jahre Arbeiterinnenbewegung. In: Popp, Adelheid (Hrsg): Gedenkbuch. 20 Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung. Im Auftrag des Frauenrechtskomitees. Wien 1912, Sibylle Hamann (2019): Eine Muss immer die Erste sein. In: Adelheid Popp: Jugend einer Arbeiterin. Hg. v. Sibylle Hamann. Picus Verlag, Wien.