Eine königliche Geburtshelferin
Justine Siegemundin
1636 – 1705, Hebamme, Königlich Preußische
Hof-Wehe-Mutter
Ein traumatisches Erlebnis bewog Justine Siegemundin (auch Justina Siegmund) dazu, Hebamme zu werden. Nach ihrer Hochzeit bekam die Tochter eines protestantischen Pfarrers aus Schlesien starke Bauchschmerzen. Mehrere Hebammen deuteten ihr Leiden als Wehen. Sie versuchten eine Geburt einzuleiten, obwohl Justine Siegemundin nicht schwanger war. Nach einer 2-wöchigen Tortur erkannte eine weitere heilkundige Frau eine Erkrankung der Gebärmutter als Ursache für ihre Beschwerden.
Diese Erfahrung veranlasste Justine Siegemundin, sich autodidaktisch mit der weiblichen Anatomie und dem Thema Geburtshilfe zu befassen. Sie praktizierte bei Hebammen und konnte so ihre Ausbildung vervollständigen.
Hofhebamme in Berlin
Obwohl zu dieser Zeit die Mutterschaft Voraussetzung für die Ausübung des Hebammenberufs war, erhielt Justine als Kinderlose eine feste Anstellung – sie hatte sich durch ihre Fähigkeiten einen hervorragenden Ruf erworben. So rettete sie zum Beispiel der regierenden Herzogin von Liegnitz-Brieg, Luise von Anhalt-Dessau, durch eine von ihr entwickelte Operationstechnik das Leben. Sie hatte eine Bandschlinge entwickelt, mit deren Hilfe sie ein Gewächs an der Gebärmutter entfernen konnte.
Justine Siegemundin erwarb sich durch ihre Kompetenz ein so hohes Ansehen, dass man sie an den brandenburgischen Hof in Berlin berief. Sie stand zahlreichen Prinzessinnen und Fürstinnen bei ihrer Niederkunft bei und wurde auch an andere Höfe „verliehen“. Daneben unterstützte sie Frauen aus allen Schichten bei schwierigen Geburten.
Ein Standardwerk entsteht
Eine Ausbildung für diesen Beruf existierte zu ihrer Zeit nicht und so verfasste Justine Siegemundin ein Lehrbuch, um damit Hebammen eine Anleitung an die Hand zu geben. 1689 erschien „Die Kgl. Preußische und Chur-Brandenburgische Hof-Wehe-Mutter“, das erste geburtshilfliche Standardwerk in Deutschland, das bis ins 19. Jahrhundert in Verwendung war. Justine gab ihrem Werk den Untertitel „Ein höchst nöthiger Unterricht von schweren und unrecht-stehenden Geburten“. Damit unterstrich sie die dringende Notwendigkeit einer besseren Schulung für Hebammen.
Dieses Buch soll das sein,
was ich der Welt hinterlasse.
Justine Siegemundin
Das Buch ist mit zahlreichen Abbildungen versehen und behandelt neben dem Thema Geburt auch die Sexualorgane der Frau und Operationsmethoden bei gynäkologischen Erkrankungen. Es enthält neue Erkenntnisse und Methoden, die aus der langjährigen Erfahrung der Verfasserin resultieren. Der nach ihr benannte „gedoppelte Handgriff der Siegemundin“, der die Wendung bei einer Querlage des Kindes im Mutterleib ermöglicht, ist heute noch bekannt.
Siegemundin ließ ihre Arbeit auch an der Medizinischen Fakultät der Universität Frankfurt an der Oder prüfen. Die dortigen Professoren bestätigten sie und verliehen ihr wissenschaftliche Anerkennung.
Missgunst und Konkurrenzneid
Ihre Berühmtheit brachte aber auch Missgunst und Diffamierungen mit sich. Mehrere Ärzte versuchten sie zu denunzieren. Sie konnte aber die Anschuldigungen entkräften. Die Ursache dafür war oft im Konkurrenzneid der akademisch ausgebildeten Mediziner zu finden, denen die Geburtshilfe als erhebliche Einkommensquelle durch die Hebammen abhanden kam. Langfristig gelang es den Ärzten allerdings, die qualifizierten, selbstständigen Hebammen zu ihren Gehilfinnen zu degradieren.
Justine Siegemundin war dreißig Jahre in ihrem Beruf tätig und verhalf etwa 5000 Kindern ans Licht der Welt. Sie starb mit 68 Jahren in Berlin. Ihr Werk hat sie bis heute überlebt.
Wie so viele bedeutende Frauen wurde auch Justine Siegemundin lange vergessen. Erst im Jahre 2014 wurde ihr zu Ehren eine Gedenktafel an der Universität in Frankfurt an der Oder angebracht. Sie wird Teil unserer Jubliäumsausstellung GEBURTSKULTUR. vom gebären und geboren werden sein.
Von weisen Frauen und ihrem Wissen
Lange Zeit war der Anteil der Frauen in der Heilkunst hoch, sie arbeiteten als Ärztinnen, Chirurginnen, Baderinnen, Apothekerinnen, Krankenschwestern und vor allem als Hebammen. Das Wissen über Frauenheilkunde und Geburtshilfe wurde von so genannten „weisen Frauen“ weitergegeben oder in anonymen Handschriften festgehalten.
Auch wenn die ersten gedruckten Bücher über die Geburtshilfe von Männern verfasst wurden, so mussten sie dabei auf den weiblichen Wissensschatz zurückgreifen, denn die Frauenheilkunde war den Ärzten lange verboten. Das lag daran, dass sie keine Tastbefunde durchführen durften, da die Kirche die Berührung der weiblichen Geschlechtsorgane durch einen männlichen Arzt nicht erlaubte. Vieles in diesen Werken ist aus den Traktaten der Ärztin Trotula übernommen, die im 11. Jahrhundert an der Universität von Salerno studiert und praktiziert hatte.
Erst 1609 verhalf das Lehrbuch der berühmten französischen Hebamme Louyse Bourgeois (1564 – 1636) männlichen Medizinern in ganz Europa zu neuen Erkenntnissen, die ihnen ermöglichten, sich fundiertes, wenn auch theoretisches Wissen über den Frauenkörper anzueignen. In Deutschland war das Werk von Justine Siegemundin wegweisend.
(RF)
Images: © https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=30870 , © Ines Agostinelli, Sammlung Frauenmuseum Hittisau, Sammlung Dr. Henri Kugener, Innsbruck
References:
http://frauen-und-reformation.de/?s=bio&id=137, Stand 9.8.2018
https://www.onmeda.de/persoenlichkeiten/siegmund.html