Kreativ sein und kritisch bleiben.
Marlies Dworak
* 1985, Sozialarbeiterin
Familienmeeting am Sonntag, ein Wochenplan am Kühlschrank - mit der Coronakrise ist der Familienalltag von Marlies Dworak sehr strukturiert geworden. Die in Linz geborene und in Doren (Bregenzerwald, Vorarlberg) aufgewachsene Sozialarbeiterin lebt mit ihrem Mann Martin und den zwei Kindern (2 und 4) in Wien. Beide sind im sozialen Bereich angestellt, Martin ist zusätzlich auch selbstständig, und seit der Krise betreuen sie die zwei Kinder voll zu Hause. Trotzdem – sie bringen alles unter:
Wir arbeiten sechs Tage die Woche, Sonntag ist Familientag. Es ist aber schon so, dass wir oft am Abend noch vor der Arbeit sitzen und einer von uns noch irgendwas fertigmacht. Wir sind schon ziemlich eingeteilt in unserem Rythmus.
Marlies Dworak
Gerade zu Beginn hat Marlies die gemeinsame Zeit sehr wertgeschätzt, sie sind als Familie näher zusammengerückt. Es werden Kleinigkeiten wahrgenommen – zum Beispiel spannende Schnecken und Würmer im Garten – und die beiden Kinder beschäftigen sich mehr miteinander. Auf der Strecke bleiben jedoch die Zeiten für sich. Der Arbeitsweg zum Beispiel, den Marlies früher oft allein auf dem Rad zurückgelegt hat, der fällt nun weg.
Beratung für Geflüchtet mit Schwerpunkt Wohnen
In ihrem Arbeitsleben ist Marlies voll auf Homeoffice umgestiegen. Seit 7 Jahren arbeitet sie bei der Diakonie in der Integrationsberatung. Ihre Aufgabe ist es, Familien mit positivem Asylbescheid im Übergang von einer Integrationsstartwohnung zu einer ersten privaten Wohnung zu beraten und zu begleiten. Dabei geht es zum Beispiel um Fragen des Mietrechts: was bedeutet Mieten, was sind Rechte und Pflichten von Mietenden und Vermieter*innen, wie läuft der Kontakt zu Hausverwaltung und Vermieter*innen, aber auch wie kann die finanzielle Grundsicherung gewährleistet, der Job erhalten bleiben.
Der Übergang in die erste private Wohnung ist meist ein großer Schritt für die Familien.
Marlies Dworak
Gerade für Geflüchtete ist die Wohnungssuche sehr schwierig, da viele kein Erwerbseinkommen haben und die Vorlage eines Lohnzettels bei den meisten privaten Vermieter*innen eine Grundvoraussetzung ist. Hinzu kommen Sprachbarrieren, finanzielle Ressourcen, Vorurteile – der Bedarf für Unterstützung ist also groß. Trotzdem schaffen es aber einige auch aus eigener Kraft.
Angst in den Familien
Geflüchtete sind besonders stark von den Auswirkungen der Coronakrise betroffen, unter anderem durch die Schließung von Grenzen und Behörden. Bemerkbar macht sich dies zum Beispiel dadurch, dass die Familienverfahren nun stehen. “Wir haben einige Familien, bei denen sich Angehörige in Flüchtlingslagern befinden bzw. Familienverfahren eingeleitet worden sind und da ist absoluter Stopp... da gibt es auch keine Informationen, wann es wieder weitergeht.”
Und gleichzeitig sind die Strafverfügungen der Polizei gegenüber einer bestimmten Gruppe von Personen ihrer Einschätzung nach stark gestiegen, Stichwort racial profiling: “Junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, die vor einer Ampel stehen und anscheinend den Abstand von einem Meter nicht ganz genau einhalten, kriegen eine Strafverfügung von 500 Euro – und das nicht als Einzelfall.
Das macht Stimmung in den Familien,
das erzeugt Angst.
berichtet Marlies.
Ihre Aufgabe ist es jetzt, die Familien zu ermutigen, zu motivieren und zu informieren, z.B. darüber dass sie hinausgehen dürfen, dass es wichtig ist, spazieren zu gehen, mit den Kinder hinauszugehen, weil die Angst zum Teil groß ist, das Haus überhaupt zu verlassen. Oft leben gerade diese Familie auf sehr beengtem Raum. Hier vermittelt Marlies vor allem zwischen den Generationen – denn Jugendliche, die sonst viel unterwegs sind, bekommen nun den Druck, daheim zu bleiben.
Krise macht erfinderisch
Der Kontakt zu den Familien läuft hauptsächlich über Telefonkonferenzen, zu denen auch Dolmetscher*innen zugeschaltet werden. Aber auch da kommt sie manchmal an Grenzen, denn zum Beispiel haben nicht alle Klient*innen die Möglichkeit etwas zu Hause auszudrucken. Viel erledigen Marlies und ihr Team daher über Postwege, gerade wenn es um Anträge und Unterschriften geht.
Es sind alltägliche Dinge, bei denen man merkt, man muss kreativ sein und umdenken.
Marlies Dworak
So haben sie auch einen Podcast eingerichtet, in dem sie aktuelle Informationen zur Krise zusammenfassen und in sechs verschiedene Sprachen übersetzen. Dadurch treten sie mit ihren Klient*innen vermehrt in Austausch, was Marlies schätzt:
Das ist auch etwas Neues, was daraus entstanden ist … das finde ich sehr bereichernd, die aktuelle Situation als Anlass zu sehen, auch einen politischen Diskurs zu führen.
Marlies Dworak
Ein kritisches Auge behalten
Die politischen Maßnahmen, die Einschränkung der Grundrechte wird sie weiterhin ganz genau und kritisch beobachten - damit sie sich nicht einfach in den Alltag einschleichen, diese Situation nicht einfach zur Normalität wird.
Und auch die vielgerühmte Solidarität sieht sie zweischneidig: Einerseits gibt es schöne Beispiele für persönliche und gesellschaftliche Solidarität, wenn zum Beispiel für ältere Menschen eingekauft wird. Gleichzeitig nimmt sie negative Stimmungen wahr, wenn sich gerade ältere Menschen in der Öffentlichkeit bewegen - nach dem Motto: “wie kann man nur, das ist doch die Risikogruppe und wegen euch machen wir das doch eigentlich alles”. Solidarität gibt es in ihren Augen für bestimmte Gruppen oder Aktivitäten, es sind aber auch viele davon ausgeschlossen – Geflüchtete zum Beispiel, sei es in Österreich, auf den griechischen Inseln oder in Flüchtlingslagern und Kriegsgebieten.
Das Zusammenhalten … finde ich wichtig. Dass wir diese Skepsis verlieren und versuchen, wieder Begegnungen auf Augenhöhe schaffen, wenn es möglich ist.
Marlies Dworak
(AS)
Images: © Marlies Dworak