Briefe aus dem Orient.
Lady Mary Wortley Montagu
1689-1762, Schriftstellerin
Als eine der ersten Frauen bereiste und beschrieb Lady Montagu zu Beginn des 18. Jh. den Orient.
Sie war die Tochter des Herzogs von Kingston und hatte Zugang zu einer umfangreichen Bibliothek. Sie konnte sich autodidaktisch vielseitig bilden. Außerdem sprach sie fließend Latein, Griechisch, Französisch, Italienisch und Deutsch und erwarb sich schon in jungen Jahren den Ruf einer anerkannten Schriftstellerin und Intellektuellen. Lady Montagu setzte sich über alle Konventionen hinweg: Mit 23 Jahren heiratete sie heimlich – ohne ihren Vater zu fragen.
Leben in Konstantinopel
Als ihr Mann 1716 als englischer Botschafter nach Konstantinopel (heute Istanbul) geschickt wurde, um dort im Türkenkrieg zwischen Österreich und den Osmanen zu vermitteln, begleitete sie ihn. Sie lernte die türkische Sprache und begann mit unvoreingenommenem Blick die Menschen und die Kultur zu beschreiben. Dabei räumte sie mit Vorurteilen gegen den angeblich unzivilisierten Orient auf.
Sie beklagt in diesem Zusammenhang, dass vieles in der Reiseliteratur über das Osmanische Reich frei erfunden oder woanders abgeschrieben sei, vor allem, wenn es sich um die Situation der Frauen handle.
Sie schreibt:
Niemals versäumen es die Verfasser, sich über die Frauen zu äußern, die sie niemals gesehen haben […]. Oft beschreiben sie auch Moscheen, in welche sie nicht hineinzusehen gewagt haben.
Lady Mary Wortley Montagu
Londons höfische Gesellschaft war neugierig auf den Orient: Ihre Briefe kursierten bald in Abschriften. Lady Montagu betont darin immer wieder, nichts zu erzählen, was sie nicht aus eigener Anschauung gesehen oder erfahren habe. Um das Leben und die Menschen ungehindert studieren zu können, ging sie verschleiert in Basare und Moscheen. Besonders stolz war sie darauf, dass sie als Frau auch den Harem des Sultans besuchen durfte und deshalb mit Frauen in Kontakt kam, um über deren Lebensweise zu berichten. In einem Brief an ihre Schwester schildert sie die Vorteile der Verschleierung, die den Frauen sogar ermögliche, „ihren Neigungen nachzugehen, ohne entdeckt zu werden.“
Ganz anders als in England behalte „die vermögende Dame ihren Reichtum in eigenen Händen. Im Falle einer Trennung nimmt sie ihn mit und dazu noch eine Gabe, die der Ehemann ihr zu verabreichen hat.“
Briefe aus dem Orient
Das Interesse an den „Briefen aus dem Orient“ war so groß , dass Lady Montagu ihre Reiseberichte überarbeitet und mit Tagebucheintragungen verbunden für eine Publikation vorbereitete. Sie erschien aber erst nach ihrem Tod in mehreren Bänden.
Ihr offener und toleranter Umgang mit der fremden Kultur und Religion erscheint heute bemerkenswert.
Sie betrachtet das Christentum und den Islam als gleichwertige Glaubenslehren und die osmanische Lebensart als kultiviert und moralisch ebenbürtig. Das war im Europa des 18. Jahrhunderts keinesfalls selbstverständlich.
Einsatz für die Pockenimpfung
Lady Montagu lebte fast drei Jahre in der Türkei, brachte dort ihr zweites Kind zur Welt und lernte die Pockenimpfung kennen, die im Osmanischen Reich schon seit Jahrhunderten praktiziert wurde. Nachdem sie nach England zurückgekehrt war, versuchte sie die Impfung auch in ihrer Heimat publik zu machen. Sie wurde aber erst eingeführt, als es ihr gelang, König Georg I. während einer Pockenepidemie zu überzeugen, seine Enkel impfen zu lassen.
Lady Montagu verbrachte ihr weiteres Leben ohne ihren Mann in Italien und kehrte erst kurz vor ihrem Tod im August 1762 nach London zurück.
Es war alles sehr interessant.
Lady Mary Wortley Montagus letzte Worte.
Text: Roswitha Fessler
Images © https://stmargarets.london/archives/2018/04/lady-mary-wortley-montagu.html © Archiv Frauenmuseum Hittisau
References:
Körner, Imela (Hrsg.): Mary Wortley Montagu. Briefe aus dem Orient. Frauenleben im 18. Jahrhundert. Wien 2006
Härtel, Susanne/Köster, Magdalena (Hrsg.): Die Reisen der Frauen. Weinheim und Basel 1994